St. Galler Tagblatt | Kultur:
Die Künstlerin Helene Mäder vor ihrem grossformatigen Werk «Blickleuchten».
Bild: Ralph Ribi
In der Galerie Werkart an der Teufener Strasse sind unter dem Titel «schuhlos» Malereien und Zeichnungen der Künstlerin Helene Mäder zu sehen. Ein Rausch von kräftigen Farben und federleichter Bewegung.
Christina Genova
Das Skizzieren ist Helene Mäders tägliche Aufwärmübung. Sie grundiert ein Blatt mit Ölfarbe und lässt den Bleistift über das noch nasse Papier tanzen. Der schnelle Strich entspricht dem Temperament der Künstlerin. «Ich bin immer in Bewegung und kann fast nicht still sitzen», sagt sie von sich selbst. Diese Wesensart drückt sich auch in ihrer Malerei aus.
Nach dem Warmskizzieren arbeitet die ausgebildete Textilentwerferin in ihrem Flawiler Atelier während jeweils mehrerer Stunden an ihren ölgemälden. Sie malt Menschen in Bewegung, aber auch in Momenten des Innehaltens. In allen ihren Werken sind Menschen zu finden, manchmal alleine, häufig in Gruppen. In ihrer Einzelausstellung in der Galerie Werkart zeigt die Gossauer Künstlerin unter dem Titel «schuhlos» Zeichnungen und Malereien, die in den letzten zwei Jahren entstanden sind, unter anderem auch zahlreiche ihrer morgendlichen Skizzen. Auf dem gleichnamigen Gemälde sieht man tanzende Menschen. Mit wenigen Strichen gelingt es Helene Mäder, deren Charaktere und Posen einzufangen.
Das jahrelange Aktzeichnen hat ihre Hand geschult. Eine Frau in Rot sticht aus der Gruppe hervor. Sie wagt einen Luftsprung, die Beine fast zum Spagat gestreckt. Eine andere bewegt sich selbstverliebt und selbstvergessen zu imaginärer Musik. Die Tanzenden sind barfuss, haben sich ihrer Schuhe entledigt. Derart geerdet lassen sie ihrer Bewegungslust freien Lauf.
Rom, Kuba, Flawil
Der Verausgabung folgen unweigerlich Momente der Ruhe – um neue Kräfte zu sammeln, einem Tagtraum nachzuhängen. Einen Augenblick solch wohliger Entspannung hält «sueño», der Traum fest. Das Werk entstand im Zusammenhang mit einem mehrwöchigen Aufenthalt der Künstlerin in Kuba vor zwei Jahren. Nachdem Helene Mäder vor sechs Jahren die Gelegenheit hatte, drei Monate in der Kulturwohnung des Kantons St. Gallen in Rom zu verbringen, wurde ihr bewusst, wie inspirierend das Durchbrechen der alltäglichen Routine auf sie wirkte. Deshalb wiederholte sie diese fruchtbare Erfahrung. Zu Helene Mäders neueren Arbeiten gehören Plexiglasbilder. «Lebensspuren» nennt sie die beiden ausgestellten Werke. Die quadratischen Glasscheiben hat die Künstlerin beidseitig mit ölfarbe, Acryl und ölkreide bemalt und dadurch einen Tiefeneffekt erzielt.
Mut und Zweifel
Grüne Lebenslinien, einem Aderngeflecht gleich, überlagern einander, im Vordergrund stehen drei Frauen. Ihre Blicke schweifen nachdenklich in die Ferne. Vielleicht ist es Zeit für sie, innezuhalten für eine Zwischenbilanz. Trotz allem Optimismus und aller Lebensfreude, die in Helene Mäders Werken zum Ausdruck kommt, haben darin auch gemischte Gefühle Platz. Bei «Hin- und Her des Mutes» zögern einige Frauen noch, den Sprung über den Abgrund zu wagen, während andere sich bereits mutig der Herausforderung stellen. Es sind Gefühle, wie wir sie alle kennen, welchen die Künstlerin in ihrer Arbeit auf den Grund geht. Bei Helene Mäder trägt immer die Zuversicht den Sieg davon: Die Frauen, die bei «Blickleuchten» auf der bedrohlich hohen, roten Klippe Schlange stehen, warten voll freudiger Erwartung auf den Sprung ins kühle, blaue Nass.
Strukturiert werden Helene Mäders Werke durch geometrische Flächen in kräftigen Farben. Diese trägt sie in mehreren Schichten in einem langwierigen Arbeitsprozess auf, da die ölfarbe zwischendurch immer wieder trocknen muss. Was ihr nicht gefällt, bürstet und kratzt sie ab. Auf zahlreichen Gemälden hinterlässt Helene Mäder auch Textfragmente, lädt die Bilder mit ihren Gedanken auf. Der genaue Inhalt der Texte aber bleibt ihr Geheimnis. Sosehr man sich auch bemüht, es gelingt einem höchstens, ein paar einzelne Wörter zu entziffern. Sprache ist Rhythmus, vielleicht bewegen sich ja all diese Menschen, die Helene Mäders Bilder bevölkern, zum lautlosen Sprechgesang ihrer Texte.